Damals, als das Fleisch noch rar und teuer war, verwerteten die Menschen wirklich alles vom Tier und aßen es auch – vom Schnäuzchen bis zum Schwänzchen. Aus dieser Zeit stammen die „Schniggerla“, die aus gekochtem Pansen zubereitet werden. In Franken war es eher ein Essen für arme Leute.
Der Metzgermeister, bei dem ich den Pansen für die Schniggerla bekam, erzählte mir, dass das Gericht in ganz Europa bekannt ist. In Portugal heißt es beispielsweise „Tripas à moda do Porto“ (dt.: Kutteln nach Porto-Art) und ist eines der Nationalgerichte. Einer Legende nach gaben die Einwohner von Porto ihren Seefahrern sämtliches Fleisch, damit sie für die Schlacht gegen Marokko gut gerüstet waren. Ihnen selbst blieben nur die Innereien der Tiere – und so erfanden sie aus dem Pansen ein Gericht, dass dort bis heute gerne gegessen wird und auf vielen Speisekarten zu finden ist.
Heutzutage kennt kaum jemand hier in Franken noch die Schniggerla. Sie werden allerdings in einer Metzgerei sehr gelegentlich als Mittagsgericht angeboten. Dann werden sie von – vorwiegend älteren Menschen – vorbestellt und gerne gegessen. Meine Mutter hat uns zwar viele Speisen auf den Tisch gestellt – die wir auch alle essen mussten – Schniggerla jedoch waren nicht dabei. Auch auf den Speisekarten der traditionellen fränkischen Wirtshäuser habe ich das Gericht noch nie entdeckt.
Zu dieser Gelegenheit habe ich jedenfalls den frischen Pansen beim Metzger erstanden und kam mit ihm nach Hause. Ich präsentierte ihn stolz der Mitbewohnerin, doch sie lud mich lieber ein und wir aßen in einem guten Lokal. „Du willst dich wohl um die Schniggerla drücken?“, mutmaßte ich.
Sie grinste.
Am Abend war ich bei einer Buchvorstellung und traf dort eine weitläufige Bekannte. Ich erzählte ihr von den Schniggerla und lud sie für den nächsten Tag zum Essen ein. Sie zögerte – und suchte Gründe, warum sie nicht kommen konnte.
Ich bereitete die Schniggerla exakt so zu, wie es mir vom Metzger beschrieben wurde. Allerdings ist schon der Anblick gewöhnungsbedürftig. Die Vorstellung, dass daraus ein wohlschmeckendes Gericht entstünde, fiel mir schwer. Dabei gibt es durchaus Menschen, denen die Kutteln schmecken und die sie heiß und innig lieben. Aber vielleicht muss man diesem Geschmack bereits als Kind begegnet sein.
Als ich fertig war, zitierte ich die Mitbewohnerin in die Küche und gab ihr einen Löffel voll Schniggerla zum Probieren. Sie steckte die Kutteln in den Mund – und verzog das Gesicht.
„Ich esse die restlichen Maiskolben, die von gestern. Die Schniggerla sind alle dein und du darfst dich so richtig satt daran essen“, sagte sie großzügig und verließ eilig die Küche.
Jetzt kam mein großer Moment.
Die Soße hatte ich schon probiert und abgeschmeckt. Sie schmeckte mir eigentlich ganz gut und erinnerte mich mit ihrem süß-sauren Geschmack an die sauren Nierchen, die ich gelegentlich ganz gerne mag.
Ich füllte einen Teller voll mit Schniggerla, schnitt mir eine Scheibe Brot und setzte mich an den Tisch.
Ich fischte mit dem Löffel nach einem dieser außerirdisch aussehenden Kutteln und steckte sie mir in den Mund. Zunächst fühlte es sich wabbelig an. Je nachdem, ob die Außen- oder Innenseite der Pansenstreifen gerade auf der Zunge lag, spürte ich entweder eine Glätte oder eine Rauheit. Mir schien es, als hätte ich einen Schwartenteil vom Schäuferla im Mund, der die ganze Zeit in der Soße gelegen und jeden Versuch, doch noch zur Kruste zu werden, aufgegeben hatte.
Grundsätzlich schmeckten die Schniggerla jedenfalls nach der Soße und die war ja akzeptabel.
Nur leider erinnerte mich die Kombination von Schniggerla und Soße an die Rinderzunge aus meiner Kindheit – und dieses geschmackliche Trauma habe ich bis heute nicht überwunden. Da sich aber alle geladenen Gäste um den Verzehr der Schniggerla gedrückt hatten, saß ich alleine vor dem großen Topf.
Ich blieb tapfer. „Du bist eine Naturgewalt“ hieß das Buch, das Stefan Rascher geschrieben und gestern Abend vorgestellt hatte. Ich erinnerte mich daran, was der Autor gestern darüber erzählt hatte, wie ihn das Leben mit Handicap gestärkt hatte, nahm meinen Mut zusammen und aß einen Teller voll Schniggerla. Immer, wenn ich zwischendrin einen Bissen von meiner Brotscheibe nahm, freute ich mich über den altvertrauten Geschmack.
Ob jemand die Schniggerla mag – oder sie nie wieder essen wird, weiß man erst, wenn man sie wirklich probiert hat.
Vielleicht ist es ja ein bisschen wie mit dem fränkischen Rauchbier: Von diesem muss man auch fünf Flaschen trinken, bevor der Gaumen den rauchigen Geschmack akzeptiert. Ab dann liebt man es.
Viel Spaß beim Schniggerla-Probieren. Denken Sie einfach daran, dass dieses Gericht in Portugal Nationalgericht und in Frankreich eine Delikatesse ist. Hier in Franken war es dagegen früher ein Gericht für arme Leute.
Schniggerla
Zutaten:
1 kg Pansen vom Rind
2 Zwiebeln
2 Lorbeerblätter
2 Nelken
2 mittlere Stücke Sellerie
Zucker
Essig
Gemüsebrühe
Salz und Pfeffer
1/4 l trockener Weißwein
1 EL Butterschmalz
2 EL Mehl
Zubereitung:
Die Zwiebel und den Sellerie kleinschneiden und in der Pfanne leicht anbraten. Nun den gut gewaschenen und in feine Streifen geschnittenen Pansen mit den Gewürzen, den Zwiebeln und den Sellerie 90 Minuten in einem Sud aus 2/3 Gemüsebrühe und 1/3 Essig sprudelnd kochen lassen.
Anschließend aus dem Butterschmalz und dem Mehl eine helle Einbrenne bei niedriger Temperatur herstellen. Mit etwas Kochsud aufgießen und den Wein hinzugeben. Jetzt die Kutteln in den Sud zurücklegen und mit Salz, Pfeffer und Zucker abschmecken.
In unserer Region isst man Brot oder Brötchen dazu.
In anderen fränkischen Gegenden wird dazu Kartoffeln, Kartoffelbrei oder auch Klöße gereicht.
Früher wurde das Gericht ohne Weißwein gekocht, da man sich das nicht leisten konnte. Er verleiht den Schniggerla aber eine feine Note.
Rezeptanleitung. Zum Herunterladen bitte anklicken.
Schniggerla pdf Rezeptanleitung
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