Linsen und Spozen, zu hochdeutsch: Linsen und Spatzen, gab es bei uns nicht oft zu essen. Vielleicht lag es daran, dass unserer Mutter der Aufwand für die separate Herstellung der Mehlklöße zu viel war. Auf die Spozen war ich zwar nicht so scharf und hätte sie gerne im Suppentopf gelassen, doch sie ließen sich nicht umgehen: Unsere Mutter hat alles gerecht portioniert – und gegessen wurde das, was auf den Tisch, beziehungsweise den Teller kam.
Waren jedoch keine Spozen, sondern Wienerle in der Linsensuppe, stürzten wir uns wie wilde Tiere auf das Essen und jeder versuchte, so viele Wurststückchen wie möglich mit der Schöpfkelle zu fangen. Leider hatte meine Mutter gegen so viel Suppenfischerei ein probates Rezept: Beim nächsten Mal blieben die Würstchen ganz, jeder bekam genau eines auf seinen Teller und das Problem war gelöst. Seit dieser Zeit baten wir jedoch nicht um einen Nachschlag.
Linsen und Spozen ist – da ohne Fleisch gekocht – ein typisches Freitags- und Fastenessen.
Zu Beginn der Fastenzeit verteilte der Pfarrer im Religionsunterricht auch einen Bastelbogen für ein Opferkästchen an alle Kinder. Wir freuten uns zwar sehr auf die Bastelei und stellten das Kästchen auch auf unsere Nachttischchen. Da wir jedoch kein Taschengeld bekamen, konnte ich leider kein Geld opfern.
Dabei hätte ich so gerne Geld für notleidende Kinder in das Kästla geworfen. Die Mutter löste dieses Problem am Ende der Fastenzeit übrigens ganz pragmatisch: Jeder ihrer Söhne bekam ein paar Geldmünzen, mit denen er sein Pappschächtelchen füttern konnte. Der Pfarrer sammelte anschließend alle Opferkästla wieder ein, schließlich sollte keines von ihnen – und schon gar nicht der wertvolle Inhalt – verloren gehen. Oft blickte ich vor dem Einschlafen auf das Opferkästchen und machte mir so meine Gedanken. Ich dachte an all die Kinder auf der Welt, die leiden müssen, weil sie nicht genug zu essen bekommen. Wer kümmerte sich wohl um diese Kinder? Wer gab ihnen etwas zu essen? Ich war dankbar, dass uns die Mutter immer genug zu essen gab. Sicher, ich hätte gerne auch einmal in der Woche etwas zu naschen bekommen, doch ich akzeptierte die Einschränkungen und freute mich dann um so mehr, wenn wir etwas Süßes geschenkt bekamen.
Belastender fand ich es, wenn meine Mutter auf Dinge verzichtete, nur um uns Kinder etwas zu bieten. Ich habe schon als kleines Kind vieles wahrgenommen, obwohl ich es nicht richtig verstanden habe. So hörte ich, wie meine Mutter von der Schwester Oberin des Kindergartens gefragt wurde, wann sie den überfälligen Monatsbeitrag zahlen wolle. Die Mutter musste zugeben, dass sie den Beitrag im Moment nicht zahlen kann. Ich stand neben beiden und fragte die Mutter danach, ob sie mir ein Zehnerle geben könne. Ich wollte es in das Opferkästchen werfen, dass bei der Schwester Oberin auf dem Schreibtisch stand. Auf diesem thronte oben ein nackertes dunkelhäutiges Kind, ein Negerla, wie wir damals sagten. Darunter befand sich eine Art Leiter, die schließlich in der Dose endete. Warf jemand ein Zehnerla in die Dose, klimperte das auf der Leiter nach unten, überschlug sich mehrfach, bis es schließlich mit einem klingelnden Geräusch in der Dose landete. Vielleicht waren wir das, was andere als arm bezeichneten, doch es ging uns nicht schlecht. Wir lebten gut in unserer Welt.
Gestört wurde diese erst, als uns die Außenwelt mit anderen verglich: So fragte mich ein Lehrer mitten im Unterricht und vor allen Mitschülern, ob ich nur diese eine Hose hätte, in der ich immer zur Schule kam. Ich antwortete mit „ja“, dachte mir jedoch nichts dabei und erzählte später meiner Mutter von dieser Lehrerfrage. Sie guckte komisch und fuhr mit mir zum Einkaufen. Nun hatte ich zwar zwei Hosen, fühlte mich jedoch weder glücklicher noch unglücklicher als zuvor. Doch ich wusste jetzt, dass Menschen miteinander verglichen werden und dass uns die Menschen, mit denen wir in Kontakt kamen, uns beobachteten. Die Menschen wurden eingeteilt und beurteilt: In solche, die mehr hatten und in solche, die weniger hatten. Wer mehr besitzt, wird somit mehr bewundert und ist mehr wert. Das verstand ich jedoch nicht – und es will bis heute nicht in meinen Kopf. Für mich war meine Mutter ein Mensch, der mir unglaublich viel bedeutete, auch wenn sie nicht viel Geld zur Verfügung hatte und auf vieles verzichten musste, was für andere selbstverständlich war. Außerdem – es war Fastenzeit. Und in der Fastenzeit soll man ja verzichten.
Linsen und Spatzen
Zutaten für die Linsen
200-250 Gramm Linsen
1 Gelbe Rübe, klein geschnitten
50 Gramm gewürfelter Speck
1 kleine Blutwurst
Zutaten für die Mehlspatzen
Salz, Essig und Zucker
200 Gramm Mehl
3 Eier
Salz
Mineralwasser (mit Kohlensäure)
Wienerla (Wiener Würstchen) nach Bedarf
Zur Einbrenne:
50 Gramm Räucherspeck oder Fett (alternativ Öl)
1 Zwiebel
20 Gramm Mehl
Zubereitung Linsen:
Linsen nach Packungsbeilage kochen.
Speck und Zwiebeln kleinschneiden und in einer Pfanne anbraten bzw. glasig dünsten.
Einbrenne in Farbe der Linsen herstellen, mit dem Linsenwasser aufgießen. Blutwurst kleinschneiden und mit den Zwiebeln und Speck zu den Linsen geben und ca. 10 Minuten kochen lassen. Mit Essig und Zucker erst kurz vor dem Anrichten süßsauer abschmecken.
Zubereitung Spatzen:
Mehl mit Eiern, Salz und Mineralwasser zu einem zähflüssigen Teig verarbeiten und
mindestens 30 Minuten stehen lassen. Das Mineralwasser macht die Spatzen fluffig.
Den Mehlteig mit einem Eßlöffel portionsweise in kochendes Wasser geben.
Wenn die Spatzen an die Oberfläche steigen sind sie fertig. Abschöpfen und zu den Linsen geben.
Tipp: Anstelle von Wiener Würstchen kann man auch geräucherten Bauchspeck nehmen.
Rezeptanleitung. Zum Herunterladen hier anklicken.
Linsen und Spozen pdf Rezeptanleitung