Fränkische Hutzeln
Meine Urgroßmutter handelte mit Samen, Gewürzen, Tees und Meerrettich. Sie war als „Greeweiblein“, wie die Gewürzhändlerinnen hier in Franken bezeichnet wurden, ab den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts unterwegs.
Ihr blieb nichts anderes übrig: Auch wenn sie keinen Bauernhof besaß, musste sie für den Lebensunterhalt ihrer sechs Kinder aufkommen. Also ging sie handeln. Sie war bis zu viermal jährlich für mehrere Wochen auf Reisen und in dieser Zeit oft südöstlich von München im Gebiet Weilheim-Schongau unterwegs. Dort ging sie in ihrer Tracht von Haus zu Haus und verkaufte ihre Waren.
Lief das Geschäft gut, brachte sie ihren sechs Kindern etwas mit. So bekam ihre jüngste Tochter – die später meine Großmutter wurde – eine Tafel Schokolade. Als sie ihren Klassenkameradinnen davon auf dem Pausenhof der Schule erzählte, wollten diese nicht etwa die Schokolade selbst probieren, sondern staunten über das Silberpapier, in das sie eingewickelt war. Damals kannten die Kinder kaum Süßigkeiten und auf den fränkischen Dörfern gab es solche Dinge auch nicht zu kaufen. Schließlich hatte kaum jemand Geld dafür übrig.
Da die Kinder – und Erwachsenen natürlich auch – trotzdem gerne etwas Süßes naschten, wurde Obst gedörrt. Gab es im Spätsommer oder Herbst eine reiche Ernte, wurden Äpfel und Birnen in Ringe geschnitten, auf die Fensterbank gelegt oder auf Schnüre gefädelt. Manche konstruierten spezielle Drahtkörbe, in denen die Obstscheiben über dem Ofen trocknen konnten.
Das auf diese Weise getrocknete Obst, das in Franken als Hutzeln bezeichnet wird, hielt sich nicht nur den ganzen Winter über, sondern viele Jahre lang: So war immer eine Kleinigkeit zum Naschen im Haus.
Bis heute sind besonders die gedörrten fränkischen Hauszwetschgen beliebt, da sie einen ganz besonders fruchtigen Geschmack haben. Als ich selbst vor einigen Jahren damit begann, Obst zu dörren, war mein Vater begeistert: Der Geschmack der Hutzel erinnerte ihn an seine Kindheit und er erzählte mir, wie sie damals als Kinder im Krieg ihre Süßigkeiten selbst herstellten und vor allem Zwetschgen auf der Fensterbank zum Trocknen auslegten.
Die Hutzeln richtig naschen
Damals wussten die Kinder, wie selten und wertvoll Naschereien sind. Damit sie möglichst lange etwas von den gedörrten Pflaumen hatten, ließen sie die Hutzeln zunächst auf der Zunge zergehen. Sie entfalten nämlich ihren unvergleichlichen Geschmack erst dann, wenn sie ausreichend durchfeuchtet sind. Lässt das Aroma nach, ist immer noch Zeit, die Hutzel zu kauen und zu schlucken.
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