Mein Abenteuer als Kinofilm oder: „Der Schatz der weißen Falken“.
Weil ein Kinderfilm nicht nur in Franken, sondern sogar in Heroldsbach spielt, ging ich mit meinen Kindern 2005 ins Kino. „Der Schatz der weißen Falken“ handelt von drei Jungen und spielt im Jahr 1981. Während ich den Film sehe, erinnere ich mich an Szenen aus meinem eigenen Abenteuer, das ich mit zwei meiner Brüder am Mittwoch, den 28. Juni 1977 selbst erlebte und das mit einer großen Suchaktion der Polizei endete.
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Der Film handelt von drei Ausreißern, die alle so um die zehn Jahre alt sind. Sie machen sich von Heroldsbach aus auf die Suche nach dem Schatz der weißen Falken, finden diesen in einer Höhle in der fränkischen Schweiz und kommen wohlbehalten nach Hause zurück. Da niemand von den Erwachsenen von dieser Tour etwas weiß, machen sich die Eltern große Sorgen und sind heilfroh, dass alles gut ausgeht.
Das stand damals in der Zeitung:
Wie kam es dazu?
Als Kind fühlte ich mich ungerecht von meinem Vater behandelt und wollte einfach nur von zu Hause weg. Die Abenteuerfilme, die damals im Fernsehen gezeigt wurden, weckten in mir den Wunsch: Ich will nach Australien.
Aber alleine?
Ich überzeugte meinen großen Bruder von meiner Idee und plante alles ganz genau: Tag, Route und Finanzen. Zwanzig Mark hielt ich für ausreichend: Wir wollten mit dem Fahrrad bis Bamberg fahren, heimlich auf einen Güterzug steigen und nach Hamburg fahren. Dort im Hafen wollten wir uns auf ein Containerschiff schleichen, das uns bis Australien bringen würde. Erst auf See würden wir uns zeigen, weil uns die Besatzung dann nicht mehr zurückschickten konnte. So dachte ich, so plante ich. Doch es kam anders.
Kurz vor dem Aufbruch kniff mein großer Bruder und ließ sich nicht mehr überreden. Ich wollte aber unbedingt los. Ich weihte meinen Zwillingsbruder in meine Pläne ein, nachts, während alle anderen schliefen. Das war nicht schwer, schliefen wir doch in einem Zimmer. Er erklärte sich einverstanden, hatte aber eine Bedingung: Es müsse noch einer von uns Brüdern dabei sein. Für mich kam in diesem Fall nur noch unser jüngster Bruder in Frage. Ich weckte ihn auf, erzählte ihm von unserem Vorhaben und ließ ihm keine Zeit zum Nachdenken: „Morgen früh brechen wir auf!“
Ich stellte meinen Wecker auf drei Uhr, wir standen leise auf und holten unsere Fahrräder aus dem Keller. Ich hatte einen kleinen Rucksack mit belegten Broten und drei Sunkist-Tüten gepackt. Da ich ahnte, dass bald die Polizei auf unserer Fährte sein würde, legte ich eine falsche Spur und fuhr mit meinen Brüdern zunächst nach Westen, zum Zeckerner Kreuz, eine kurze Strecke auf der Teerstraße entlang – schließlich können die Spürhunde dort keine Fährte erschnüffeln – und erst von dort aus Richtung Norden, nach Bamberg. Ich hatte mir den Weg vorher gut eingeprägt, ein Navi gab es damals nämlich noch nicht. Das Wetter war warm und sonnig. Der jüngste Bruder fuhr das kleinste Rad – ihm fiel das Mithalten schnell schwer. Als er nicht mehr konnte, mussten wir die erste Pause einlegen. Bei dieser Gelegenheit futterten wir den ganzen Proviant und der Jüngste wollte wieder nach Hause. Doch ich konnte ihn noch einmal überreden, so dass wir weiterfahren konnten.
Bei Willersdorf kamen wir aus dem Wald und begegneten auf dem Feldweg einer Frau:
„Warum seid ihr nicht in der Schule?“, fragte sie uns.
„Wir haben Ferien und besuchen unsere Oma“, antwortete ich.
„Heute ist doch Schule“, wunderte sich die Frau.
„Schon, aber wir kommen aus einem anderen Bundesland und unsere Oma hat heute Geburtstag“, entgegnete ich und erzählte, dass wir mit den Fahrrädern vorausgefahren sind und die Eltern später mit dem Auto kämen.
Sie sah uns zwar mißtrauisch an, doch sie ging weiter.
Das war noch einmal gut gegangen. Damit die Frau der Polizei keinen Hinweis geben konnte, wechselten wir lieber die Richtung und fuhren nach Schlammersdorf. Nach kurzer Zeit hielt der jüngste Bruder an:
„Ich kann nicht mehr, ich will nach Hause!“
„Lass uns die Räder ein Stück schieben“, schlug ich vor:
„Dann hast du bestimmt bald wieder Kraft zum Weiterfahren“.
Doch der Jüngste quengelte weiter. Da erinnerte ich mich an die Taktik unserer Mutter, die dem Jüngsten immer Süßigkeiten gab, wenn sie ihn zu etwas überreden wollte. In Schlammersdorf war ein Bäcker: Hier würde ich etwas Leckeres finden. Allerdings durfte es nicht zu teuer sein, war doch das Geld eigentlich verplant. Ehe ich jedoch das Risiko einer Rückkehr einging, wollte ich lieber investieren, kaufte Bamberger Hörnchen und gab sie dem Quälgeist. Der Trick der Mutter funktionierte und wir setzten unsere Reise nach Bamberg fort.
Doch die Wirkung der Bamberger Hörnchen ließ rasch nach und wir rasteten in einem kleinen Waldstück, damit uns niemand sah. Hier wollten wir die Lage besprechen.
Leider hatte keiner von uns bemerkt, dass wir uns direkt neben einer Kolonie Waldameisen hingesetzt hatten und als wir es merkten, war es zu spät. Wir rissen die Kleidungsstücke vom Körper, schüttelten die Ameisen ab, damit sie uns nicht noch mehr beissen konnten. Der Jüngste fing an zu heulen und war völlig verzweifelt. Doch er konnte nicht alleine nach Hause zurückfahren. Da mein Zwillingsbruder nicht ohne mich zurückwollte, entschied ich schweren Herzens, die ganze Aktion abzublasen und gemeinsam nach Hause zurückzufahren.
Ich war wütend. Wäre ich doch lieber alleine gefahren!
Bei nächster Gelegenheit würde ich alleine aufbrechen, das war für mich klar.
Auf dem Heimweg überlegten wir uns, was wir den Erwachsenen erzählen würden, da ich ahnte, dass man nach uns suchen würde. Wir wollten erzählen, dass wir einfach einen Ausflug mit unseren Rädern gemacht haben und am Abend eigentlich wieder nach Hause wollten. Damit könnten wir einer größeren Strafe entgehen. Dachte ich.
Die Hauptsache war, dass niemand erzählte, was wir eigentlich geplant hatten. Schließlich wollte ich ja gleich wieder los, dieses Mal alleine, damit ich sicher bis Australien kam.
Wir fuhren in Richtung Forchheim. Damit uns die Polizei nicht sehen konnte, mieden wir die Hauptstraße in der Stadt und kamen ungestört zurück nach Heroldsbach.
Kaum hatten wir das Ortsschild passiert, liefen die Menschen aus ihren Häusern auf die Straße:
„Woher kommt ihr denn?“
„Die Polizei sucht euch schon!“
„Was habt ihr eurer Mutter angetan!“
„Eure Mutter macht sich Sorgen!“
„Ihr könnt doch nicht einfach weggehen, ohne Bescheid zu sagen!“
„Wir haben doch nur einen Ausflug gemacht!“ erwiderten wir.
Die Vorwürfe endeten erst, als wir den Weg zu unserem Wohnhaus erreichten. Wir fühlten uns wie beim Zieleinlauf der Tour de France, allerdings gab es weder Jubel noch aufmunternde Worte, so dass uns nicht wohl zumute war.
Als wir kamen, stand unsere Mutter im Hof. Bevor auch nur einer von uns einen Ton sagen konnte, hatte jeder eine Backpfeife sitzen. Dann wurden wir auf unsere Zimmer geschickt.
Bald kam die Polizei und stellte eine Menge Fragen.
Wir erfuhren:
Am Zeckerner Kreuz war ein großer Suchtrupp mit Spürhunden unterwegs. Den ganzen Tag fuhr ein Polizeiauto im Dorf herum und fragte die Einwohner über Lautsprecher, ob jemand uns gesehen hätte.
Im Bayerischen Rundfunk wurde ebenfalls nach uns gefragt.
Die Polizei hatten einen Hubschrauber geordert.
Ich wurde ziemlich kleinlaut, hatte ich doch nicht mit diesem Aufwand gerechnet. Viel erzählte ich nicht. Da die Polizei Aufzeichnungen über eine Höhle in meinem Zimmer gefunden hatte, fragten sie mich darüber aus.
Am nächsten Morgen machten wir uns zu dritt auf den gewohnten Schulweg. Dieser erschien uns wie ein Gang nach Canossa: An der Straße standen Menschen, zeigten mit dem Finger auf uns und machten uns die gleichen Vorwürfe wie am Tag zuvor. In der Schule mussten wir erst zum Klassenlehrer, dann zum Rektor. Selbst der Pfarrer befahl uns zu einer Audienz. Ich hoffte sehr, dass bald Gras über die ganze Sache wachsen würde.
Unsere Freunde und Mitschüler waren jedoch begeistert: Endlich war mal etwas los.
Erst als ich größer war, verstand ich, warum die Polizei damals so intensiv nach uns gesucht hatte: Es war 1977, das Terrorjahr, das später als Deutscher Herbst in die Geschichte einging. Überall hingen Fahndungsplakate, mit denen nach den Mitgliedern der Baader-Meinhof-Bande gesucht wurde. So wurde damals die RAF, die Rote-Armee-Fraktion genannt. Wenige Monate vor unserem Ausflug wurde beispielsweise der Generalbundesanwalt Siegfried Buback und zwei seiner Mitarbeiter in Karlsruhe auf offener Straße erschossen.
Als der Film im Kino zu Ende war – auch die Höhle kam darin vor – erzählte ich meinen Kindern, dass sie gerade ein Abenteuer von mir, aus meiner Kindheit, gesehen hatten. Jetzt waren sie neugierig und wollten alles ganz genau wissen.
Bamberger Hörnchen
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