Heute ist wieder der 12te eines Monats und die freundliche Blognachbarin: „Draußen nur Kännchen“ ruft wieder zu ihrer Fotoaktion 12 von 12 auf.
Ich veröffentliche heute Bilder von meinem Sohn. Er ist nicht mehr unter uns und ich möchte ihn in guter Erinnerung behalten.
Hallo Nikolai,
Du hast dich entschieden, von uns zu gehen.
Life is simple. You make choices and you don´t look back. Das waren deine letzten Worte, die du uns hinterlassen hast.
Es ist so unendlich schwer für uns, dass zu akzeptieren, aber es war deine Entscheidung. Ich hätte gerne noch so viel mit dir unternommen und glückliche Stunden mit dir erlebt, ebenso wie meine Brüder, deine Onkel. Aber du hast anders entschieden.
Du hast dich genau an dem Tag umgebracht, als wir uns vor einem Jahr das letzte Mal gesehen und wir uns noch einmal umarmt haben.
Vielleicht wolltest du mir damit etwas mitteilen und konntest es nicht.
Erdbeeren hast du immer sehr gern gegessen, ob als Kuchen oder mit Eis.
Hiermit schenke ich dir eine letzte Erdbeere.
Als im Kindergarten ein Mädchen von den anderen geärgert wurde, hast du dich schützend vor sie gestellt. Du standest immer auf der Seite der Schwächeren. Deinen Erzieherinnen hast du viele und ständig Fragen gestellt, du wolltest das Leben schon immer tiefer verstehen und begreifen.
Du warst 18 Jahre alt, als du mich gefragt hast, warum du so sozial bist. Auf deine Feststellung, dass es egoistische Menschen einfach besser haben, habe ich dir geantwortet: „Gottseidank, bist du so!“
Ja, du hast auf vieles verzichtet, damit es anderen gut geht.
Zu deiner Kommunion hast du dir einen Rosenkranz aus Bethlehem gewünscht. Du hast nicht nachgegeben, bis ich dir diesen Wunsch erfüllt habe.
Du warst noch nicht in der Schule, da hast du schon Schach gespielt und ich musste unzählige Partien mit dir spielen. Das Schachspiel war dir wichtig, denn es stand immer noch in deiner letzten Wohnung.
In der zweiten Klasse hast du dir meinen Matheduden geholt und dir die Expotentialfunktionen selbst beigebracht. Lernen musstest du selten, du hast die Schultasche oft einfach unten im Gang abgestellt und am nächsten Tag von dort wieder in die Schule mitgenommen.
Seit dem Kindergarten warst du mit deinen Freunden zusammen. Ihr habt später gemeinsam das Gymnasium besucht und viel miteinander unternommen. Ihr wart für eine lange Zeit eine eingeschworene Gemeinschaft.
Als du zu mir keinen Kontakt mehr wolltest, habe ich dir einen Brief geschrieben. Ich bat meine Freundin, ihn dir zu geben, falls mir etwas zustoßen sollte. Jetzt ist es anders gekommen. Vielleicht kannst du ihn ja lesen, von dort, wo du gerade bist?
Lieber Nikolai,
ich muss viel an dich denken. Ich träume selbst im Schlaf von dir. Ich merke, dass du mir nicht egal bist. Doch es ist gut, wenn du deinen eigenen Weg gehst. Trotzdem möchte ich dir noch etwas sagen.
Ich habe mich von deiner Mutter getrennt. Mir ging es in dieser Beziehung nie gut, aber ich bin geblieben, weil ich dachte, dass es für dich – und deine Schwester – besser ist.
Als ihr erwachsen wart, habe ich es geändert und bin jetzt sehr glücklich. Das wünsche ich euch beiden, dir ebenso wie deiner Schwester. Manchmal muss man neue Wege einschlagen und die alten verlassen. Einen Neuaufbruch wagen, sich riskieren und die Verantwortung dafür übernehmen. Man kriegt das nicht umsonst, aber es lohnt sich. Jetzt musst auch du dich entscheiden, wie dein Leben aussehen soll. Du bist selbst dafür verantwortlich. Solltest du Hilfe brauchen, werde ich dich unterstützen. Aber entscheiden musst du selbst. Ich merke, dass ich viele Wünsche an dich habe, manchmal möchte ich dir auch konkrete Vorschläge machen. Dann aber merke ich, dass das nicht gut ist, weil ich möchte, dass du dein Leben selbst bestimmen sollst und musst.
Ich bleibe dein Vater, ganz egal was passiert. Auch dann, wenn du keine Beziehung mehr mit mir haben willst, werde ich mich dir gegenüber nie verschließen. Ich akzeptiere deine Entscheidung. Du bist ein freier Mensch. Ich möchte nur, dass du ein glücklicher Mensch wirst. Das ist alles.
Du kannst immer zu mir kommen, wenn du willst. Egal was ist. Die Tür wird für dich immer offen sein
Ich habe dich sehr lieb
Dein Papa
Jetzt bleibt mir nur dir ein Lebwohl zu sagen, bis wir uns wiedersehen. Gott allein weiß, wann dies sein wird. Grüße mir deine Oma Rosemarie. Du konntest sie nie kennenlernen, weil sie auch so früh verstorben ist.
Du wirst bei Ihr viel Liebe für dich spüren.
Mach es gut Nikolai, ich habe dich sehr lieb und es tut so unendlich weh, dass du nicht mehr bei uns bist.
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